Zuletzt geändert am
30. September 2024
|
Rechtschreibdienst: Vortragsteil RS
Vortrag zur Rechtschreibung
Aus dem Vortrag „Deutsch im Wandel oder: Warum heißt der Bindestrich jetzt ‚minus‘?“ von Sigrid Saxen in Husum, gehalten am 8. August 2019 in Husum, der Teil „Schreibreform“
II Schreibreform
Nach dieser langen Vorrede wende ich mich der Schreibreform zu. Damit Schriftstücke auch nach Jahrhunderten noch verstanden werden, dürfen die Schreibregeln nur ganz selten und mit Bedacht geändert werden. In den Jahren 1901 und 1902 gab es eine Reform der Schreibung des Deutschen zur Vereinheitlichung der Schreibweisen. Verantwortlich hierfür waren Anwender der Schriftsprache, also Schriftsteller und Lektoren. Konrad Duden mit seinem Wörterbuchverlag bekam die Entscheidung in sprachlichen Zweifelsfällen zugesprochen.
Vergleichen wir dies mit der Reform, die uns 1995 vorgestellt wurde. Der Auftrag erging von den Kultusministern an Sprachtheoretiker, Germanisten, und Reformgegner durften nicht mitwirken. Weil aber eine Regierung nicht zuständig ist, dem Volk eine neue Schreibung zu geben, gilt die Reformschreibung einschließlich ihrer Nachbesserungen seit 2004, die ich gern „Rückreformen“ nenne, nur für den Bereich, der den Kultusministerien untersteht, und das sind die staatlichen Schulen. Kurze Zeit später erhielt auch die öffentliche Verwaltung die Anweisung, die Reformschreibung zu verwenden. Weil die neue Schreibung allerdings die Verständlichkeit erschwert, ist die Anweisung an die Verwaltung keine Muß-Bestimmung wie für den Schulbereich, sondern eine Soll-Bestimmung. Das bedeutet, daß die bewährte Rechtschreibung verwendet werden muß, wenn andernfalls Mißverständnisse möglich sind.
Daß die übrigen Wirtschaftsbereiche und alle Menschen in ihrem Privatleben mit den Reformen nicht gemeint seien, sprach Heide Simonis aus, nachdem sie am 17. September 1999 als Ministerpräsidentin den Volksentscheid, daß Schleswig-Holstein die bewährte Rechtschreibung beibehält, außer Kraft gesetzt hatte. Auch soll sie diesen diktatorischen Schritt damit begründet haben – erinnert sich jemand genau? -, es könne nicht sein, daß in einem Bundesland anders geschrieben werde als in der übrigen Republik, der Schweiz und Österreich. In Wirklichkeit hätte, wie ich kürzlich erfuhr, der Volksentscheid vom 27. September 1998 in Schleswig-Holstein die Reform im gesamten übrigen Sprachgebiet zu Fall bringen müssen. Das „durfte“ natürlich nicht geschehen, und nun zeige ich Ihnen,
daß unsere Reform ein altes Vorbild hat: die Schreibreform in Rußland im Zuge der Christianisierung. Im Schulunterricht lernte ich, erst durch die Christianisierung hätten die Russen eine Schrift erhalten. Die wedische Russin Anastaßíja weiß es besser und ließ ihren Buchverfasser Wladímir Megré schreiben: „Genauergesagt haben sie (gemeint sind die Missionare Kyrill und Methodios – Anmerkung von S. Saxen) die Schriftzeichen unserer Ahnen modifiziert. … Damit die Kultur der alten Slawen für immer in Vergessenheit geriete.“ Dieser Vorgang liegt eintausend Jahre zurück und begründete eine großangelegte Geschichtsfälschung durch die Leitung der christlichen Kirche.
Uns leuchtet ein, daß alte Werke nicht mehr verstanden werden, wenn die Schriftzeichen verändert wurden und die alten vergessen sind. Was hat das mit unserer Schreibreform zu tun? Selbst wenn das ß einmal ganz abgeschafft werden sollte, wie ja schon in der Schweiz geschehen, könnte der Sinn sicher noch erfaßt werden. Der Schaden, den die 1995er-Reform anrichtete, liegt in der Abschaffung vieler Wörter. Zusammenschreibung gibt einen anderen Sinn wieder als Getrenntschreibung, und die Zusammenschreibung, zum Beispiel von Eigenschaftswort und Zeitwort, wurde verboten. „Schön geredet, Herr Bürgermeister“ bedeutet etwas ganz anderes als „Schöngeredet, Herr Bürgermeister“. Die erste Aussage ist eine Anerkennung für eine gute Ansprache, die zweite der Vorwurf, einen Sachverhalt mit Worten hingebogen zu haben, damit er annehmbar wirkt. Ein Beispiel aus dem Haushalt ist das Trockenbügeln. Getrennt geschrieben in zwei Wörtern, bedeutet es den Unterschied zum Dampfbügeln und zusammengeschrieben das Bügeln feuchter Wäsche so lange, bis sie trocken ist. Drittens das Wort „zusammenschreiben“: Wenn man es getrennt schreibt, bedeutet es, daß mehrere Menschen gemeinsam etwas geschrieben haben. Die erste „Rückreform“, 2004, hat viele Wörterverbote wieder aufgehoben, auch müssen die Kommata wieder gesetzt werden bei erweiterter Grundform und Mittelwortsätzen, zum besseren Verständnis auch bei Satzreihen, die mit „und“ verbunden sind. Aber an der breiten Masse, die eifrig die '95er-Regeln gelernt hatte, sind die Rückreformen vorbeigegangen. Zurückgeblieben ist eine gründliche Verwirrung in der Schreibung, und die Schreibung wirkt sich aufs Sprechen aus. Das merkte man im Fernsehen, wenn Vorleser wie bei den Nachrichtensendungen die Wörter falsch betonten, weil sie getrennt geschrieben waren. Ich spreche in der Vergangenheit, weil ich nicht mehr fernsehe. Hat sich das Vorlesen gebessert? ... Viel geklagt wird über die Schreib- und Deutschfehler in den Zeitungen.
Die Gründe für die Reform der Schreibung des Deutschen führen uns wieder zur Weltpolitik. Behauptet wurde ja, man wollte den Schülern das Schreibenlernen erleichtern. Aber Schreibregeln sind viel mehr für den Leser als für den Schreiber gedacht. Letzterer weiß ja, was er ausdrücken will. Aber der Leser soll dies nachvollziehen können, und dazu ist die Reformschreibung viel schlechter geeignet. Immer noch gibt es zuviele Getrenntschreibungen und Wahlmöglichkeiten. Die genannte Behauptung war vorgeschoben, und die Schulergebnisse bestätigen dies. Der Österreicher Reformzuständige Karl Blüml behauptete Anfang 1998, in Wirklichkeit hatte mittels der Reform nur dem Dudenverlag die Rechtschreibzuständigkeit entzogen werden sollen. Und Hans J. Meyer, der damalige stellvertretende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, behauptete am 26. März 1998 im Bundestag, es habe in Wirklichkeit die Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung geprüft werden sollen. Der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler sprach am 28. August 1998 aus, die Anstoßgeber wollten diese unausgegorene Reform am liebsten wieder zurücknehmen, aber nun beharrten die Kultusminister in kindischem Trotz darauf. Mir leuchtet daher einzig ein, was auch in Rußland geschehen war: die Zerstörung unserer Kultur; denn erinnern wir uns an Ludwig Reiners Aussage zu Beginn meines Vortrages: „Von der Verfassung, in der sich eine Sprache befindet, hängt es ab, was in ihr gedacht und gesagt wird.“ Und die Schreibreform ist nur e i n Ansatz zur Schädigung unserer Sprachkultur.
Mein Sprecherkollege in Kiel, Heiko Mitschke, der heute den Vortrag filmt, fragte mich, ob ich die bewährte Rechtschreibung wieder einführen wolle. Meine Antwort war und ist: Sie ist gar nicht abgeschafft worden. Frau Simonis hatte ja Recht mit ihrer Beschwichtigung 1999, die Reform gelte gar nicht für uns Erwachsene. Daher fordere ich alle Menschen, die die letzte staatliche Prüfung abgelegt haben und möglichst nicht in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt sind, auf, sich die Regeln der bewährten Schreibung anzueignen. Nur diese gewährleisten beste Verständlichkeit. Auf diesem Gebiet haben wir alle es in der Hand, unsere Sprache und darüber auch unsere Kultur hochzuhalten. Zu Kennern unserer hochwertigen Sprache und Menschen mit weltpolitischem Durchblick paßt es nicht, die Reformschreibung zu verwenden. Meines Erachtens ist das ein Zeichen von Bequemlichkeit oder Schicksalsergebenheit, und das sind keine Tugenden.
Mit meiner Ablehnung der Reformschreibung befinde ich mich im Widerspruch zum Gründer und Vorsitzenden unseres Vereins Deutsche Sprache. Der Verein wurde vor 22 Jahren (1997) gegründet, um die Anglizismenflut einzudämmen, und seit März 2019 geht er auch gegen den Genderismus an die Öffentlichkeit. Die Vereinszeitung „Sprachnachrichten“ erscheint jedoch in Reformschreibung. Daher unterstütze auch ich jetzt die Zeitung „Deutsche Sprachwelt“ des Vereines für Sprachpflege e. V. und rege an, daß die Prüfleser, die die bewährte Schreibung noch kennen und anbieten, stärker auf sich aufmerksam machen.
(eingesetzt am 12. Januar 2020)
Blick in die Geschichte der deutschen Rechtschreibung
Aussprüche zur Schreibreform
Beispiele finden Sie unter den Schreibhinweisen.
Was ist nach 2006 an Abweichungen von der Rechtschreibung übriggeblieben?
|
Ludwig Reiners:
„Von der Verfassung,
in der sich eine Sprache befindet, hängt es ab, was in ihr gedacht und gesagt wird.“ (in: Stilkunst – Ein Lehrbuch deutscher Prosa, Ersterscheinung
1961)
Zum Tag der Rechtschreibung am 27. September
Die Umfrage, nach welchen Regeln "wir" schreiben, ist seit dem 2. Januar 2020 abgeschlossen und wird nach Spendeneingang weiter ausgewertet.
Der Teil „Rechtschreibung“ eines Vortrages vom 8. August 2019
|